
Ist Achtsamkeit die neue Glücksformel?
In diesem Video ist Jon Kabat-Zinn, der Begründer des Programms „Mindfulness Based Stress Reduction“ (MBSR), zu Gast in der SRF-Sendung Sternstunde Philosophie und spricht mit Barbara Bleisch über die Frage „Ist Achtsamkeit die neue Glücksformel?“. Kabat-Zinn gilt als einer der wichtigsten Pioniere der säkularen Achtsamkeitsbewegung und hat Achtsamkeitspraxis in den Westen gebracht, ohne dass sie an eine Religion gebunden ist. Das Gespräch untersucht, warum Achtsamkeit gerade in unserer modernen, oft stressgeprägten Welt eine so große Anziehungskraft hat, was sie leisten kann – und was nicht.
Kernaussagen & Inhalte
- Definition und Wesen der Achtsamkeit
- Achtsamkeit bedeutet, mit voller Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment zu sein – Erfahrungen, Gedanken, Gefühle wahrnehmen ohne Bewertung.
- Es geht nicht um Tagträumen, nicht um Ablenkung, nicht um passives Sein, sondern um aktives Gewahrsein.
- Das MBSR-Programm
- Kabat-Zinn entwickelte MBSR 1979 an der Universität Massachusetts.
- Es ist ein achtwöchiger Kurs, der verschiedene Meditationsformen einbindet (Sitzen, Gehen, sanfte Bewegungen, Body-Scan etc.). Ziel ist: Achtsamkeit zu lernen und in den Alltag zu integrieren.
- Wichtig: MBSR ist säkular, wissenschaftlich begleitet, möglichst für viele Menschen zugänglich.
- Warum Achtsamkeit heute relevant ist
- Moderne Gesellschaften sind durch Stress, Überforderung, Dauererreichbarkeit, Schlafprobleme etc geprägt. Viele Menschen fühlen sich mehr gestresst als „innerlich präsent“.
- Achtsamkeit hilft, aus gewohnten Reaktionsmustern auszusteigen – z. B. Angst, Ärger, übermäßiges Grübeln – und stattdessen mit mehr Gelassenheit und Bewusstheit auf das Leben zu reagieren.
- Glück & Gelassenheit
- Kabat-Zinn diskutiert, ob Achtsamkeit gleichbedeutend mit Glück ist. Eher: Achtsamkeit kann Bedingungen schaffen, in denen Glück bzw. innere Zufriedenheit eher möglich wird. Aber es ist kein Zauberstab.
- Glück heißt für ihn nicht dauerhaftes Hochgefühl, sondern ein tieferes Empfinden von Präsenz, Akzeptanz und Bewusstsein im Hier und Jetzt.
- Kritik & Herausforderungen
- Mögliche Gefahr: Achtsamkeit könnte als Mittel zur Leistungssteigerung oder Effizienzsteigerung missbraucht werden, statt dass sie wirklich das Wohlbefinden und die menschliche Tiefe fördert.
- Es braucht Übung; Lesen oder Verstehen allein genügt nicht, um die Wirkungen zu erfahren.
- Auch: wie integriert man Achtsamkeit in einen Alltag, der vielleicht wenig Raum bietet? Wie bleibt Achtsamkeit authentisch und nicht bloß Trend?
- Wissenschaftliche Evidenz
- Es gibt zahlreiche Studien, die positive Effekte von Achtsamkeitspraktiken und MBSR zeigen – z. B. bei Stressreduktion, besserem Umgang mit negativen Emotionen, verminderter Schmerzempfindung.
- Auch neurologische Befunde – Veränderungen in Gehirnstrukturen oder Gehirnaktivität durch regelmäßige Praxis – werden angeführt.
Fazit / Bewertung
- Ja, Achtsamkeit (im Sinne, wie Kabat-Zinn sie versteht) kann vieles dazu beitragen, das Wohlbefinden zu steigern. Sie kann helfen, sich weniger getrieben zu fühlen, bewusster zu leben und mit dem, was ist, zufriedener zu sein.
- Aber: Achtsamkeit allein ist keine Allheilslösung. Sie verändert nicht automatisch äußere Umstände, aber sie verändert, wie wir mit ihnen umgehen.
- Wichtig ist: kontinuierliche Übung, selbstverantwortliche Integration in den Alltag, Bewusstsein über mögliche Fehlentwicklungen wie eine instrumentelle Nutzung (nur „funktionieren“ wollen).